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Familienfreundlichkeit am Fachbereich

 

 

Mit Mut und Durchhaltevermögen - Jura mal anders

 

Die Waage zwischen Job und Familie zu halten ist eine bekannte und viel diskutierte Herausforderung. Klassischerweise ergibt sich diese Situation erst, wenn man bereits im Arbeitsleben steht. Was aber, wenn man plötzlich ein Studium mit Kleinkind bewältigen muss? Kann man sich als Mutter von drei Kindern bewusst für ein Jurastudium entscheiden und erfolgreich sein? Auf der anderen Seite des Hörsaals: Als Mutter von zwei kleinen Kindern am Lehrstuhl arbeiten und unterrichten, wie kann das funktionieren?

Wir haben mit zwei Studentinnen und einer Professorin über Studium, Arbeit und Alltag am Juridicum gesprochen und berichten mit Freude über drei, die ihren eigenen Weg gehen.

Bei der Terminabsprache in Vorbereitung auf diesen Bericht wird schnell klar, welche Herausforderungen im Vordergrund bei der Vereinbarkeit von Uni und Familie stehen: Kinder haben ihren eigenen Tagesablauf, die Uni hat einen anderen. Fototermine zur Mittagsschlafenszeit sind genauso ungeeignet wie Vorlesungen bis 20 Uhr oder ein Interview im Nachmittagstief. Der Spagat zwischen zwei Welten ist sportlich, doch er kann mit viel Einsatz und Unterstützung gelingen.

 

„Am Anfang denkt man, man ist die einzige“

 

Caroline Bonse (25) hat im Wintersemester 2022/ 2023 ihr Staatsexamen erfolgreich bestanden und freut sich zum Zeitpunkt unseres Gesprächs schon auf das Sommersemester und ihren Schwerpunkt. Sie ist voller Tatendrang und strahlt. Von Schlafmangel, Stress, fehlendem Familienanschluss in Bonn und der schwierigen Organisation der Kinderbetreuung berichtet sie zwar, blickt aber dennoch mit Zuversicht auf die nächsten Semester. Dabei fing alles sehr unerwartet an: „Im Januar 2021 habe ich erfahren, dass ich mit Emil schwanger bin, was überraschend war und meinen Zeitplan durcheinandergebracht hat, da ich im Juni eigentlich Staatsexamen machen wollte.“

Nach und nach haben Caroline und ihr Partner Moritz einen neuen Alltag auf die Beine gestellt. Als Berufsfeuerwehrmann muss Moritz regelmäßig 24h-Schichten arbeiten, hat aber auch dementsprechend mehrere Tage Freizeitausgleich, an denen er sich um Emil (18 Monate) und den Haushalt kümmert, während Mama Caroline studiert: „Ich habe häppchenweise mit dem Lernen wieder angefangen, als Emil fünf Monate alt war. So wie die anderen Studierenden, von acht bis achtzehn Uhr zu lernen, war nicht möglich. Zuerst habe ich zuhause gelernt, danach im Juristischen Seminar. Dort hat das Lernen deutlich besser geklappt. Im Juni 2022 habe ich dann die Klausuren geschrieben und wurde im November zu meiner mündlichen Prüfung geladen, die ich auch bestanden habe.“ Caroline lacht: „Ich mache auf keinen Fall einen Verbesserungsversuch.“

Um die Herausforderungen einer jungen Familie mit Nachwuchs stemmen zu können, gibt es an der Uni mehrere Anlaufstellen, die Unterstützung leisten. Emil, der mit anderthalb Jahren bereits zu alt ist, um mit in die Vorlesungen zu gehen, wird in einer an die Universität angebundenen Kita betreut und die Familie wohnt in einem Wohnheim für studierende Eltern. „Am Anfang denkt man, man ist die einzige Person in dieser Situation, aber über das uniübergreifende Netzwerk lernt man schnell andere Eltern kennen. So kann man im Austausch Frust loswerden und Unterstützung und Motivation von anderen im gleichen Boot bekommen. Das ist schon schön.“

 

Eine bewusste Entscheidung

 

Hannah Kraus (33) nutzt für sich und ihre Familie ebenfalls das Netzwerk und die Angebote der Uni Bonn. Sie studiert Jura im 4. Semester und hat drei Kinder im Alter von 12, 3 und 1 Jahren und lebt mit ihrem Partner im Zentrum von Bonn. Die Entscheidung, trotz Kleinkindern ein Studium anzufangen, hat sie bewusst getroffen: „Arbeiten fällt derzeit raus, denn da muss man flexibel sein und am flexibelsten ist man im Studium. Beim Einschreiben war ich schwanger mit Joshua, es war also volle Absicht, mit drei Kindern zu studieren.“

Auf die Frage, welche Hilfestellung Hannah in Anspruch nimmt, antwortet sie: „Finanzielle Unterstützung mit kleinen Kindern im Studium ist unproblematisch. Die Angebote sind da, sie sind nur teilweise versteckt. Beispielsweise habe ich beide kleinen Kinder auf meiner Mensakarte, so dass sie kostenlos mitessen können. Außerdem gibt es gute Ansprechpartner:innen im Familienbüro, die bei allen Fragen helfen können. Manchmal machen sie auch nur Tee und hören zu. Da ist einfach jemand da.“

Während Hannahs ältester Sohn in die Schule geht und der mittlere in eine Kita, begleitet Joshua Hannah noch bis Sommer 2023 täglich an die Uni. Die beiden haben schon eine Routine, jedoch ist Planungssicherheit für Kinder ein Fremdwort: „Heute hat er in der AG nicht geschlafen und wollte bespaßt werden. Es war schwer, dass er leise bleibt und die anderen nicht stört.“

 

Früh übt sich

 

Von Kleinkindern als Gasthörer:innen kann auch Prof. Dr. Susanne Gössl, Direktorin des Instituts für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, berichten. Frau Gössl ist seit August 2022 Professorin für Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung und Recht der Digitalisierung und hat mit Melissa die wahrscheinlich jüngste Studentin am Fachbereich in ihren Vorlesungen.

Wenn Melissa in den Vorlesungen nicht gerade juristischen Sachverhalten lauscht, macht sie gerne mal ein Nickerchen oder äußert geradeheraus ihren Unmut. Von ihren acht Lebensmonaten hat sie einen Großteil bereits mit Mama Susanne Gössl am Juridicum verbracht. „Ich habe sie eigentlich den ganzen Arbeitstag dabei. Das klappt relativ gut, ich habe herausgefunden, dass sie zwischen zehn und elf Uhr einen Hänger hat und dass sie dann einschläft.“

Die Entscheidung, mit zwei kleinen Kindern arbeiten zu gehen und vor allem das jüngste täglich mit ins Büro und in Veranstaltungen zu nehmen, war relativ leicht: „Da ich die Hauptverdienerin bin, war das finanziell nicht anders zu stemmen. Bonn ist relativ teuer und durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten wäre ein Jahr Elternzeit nicht möglich gewesen.“ Über einen Kollegen hat sie erfahren, dass für ein Modul des Examenskurses noch Unterstützung gesucht werde. Da Susanne Gössl die Studierenden gerne in der Examensvorbereitung begleitet, war das ein sehr guter Einstieg.

Grundvoraussetzung war jedoch eine zukunftsorientierte Planung: „Die Uni hat mir einen Kita-Platz zugesichert, ohne den wäre es nicht gegangen.“ Olivia (3) geht bereits seit letztem September in die Kita, Schwester Melissa darf im August nun ebenfalls folgen. Bis dahin sind Mutter und Tochter ein Team.

 

Moralische Unterstützung

 

Die Theorie, mit Kind zu studieren, ist das eine. Praktisch stellt sich das im Alltag jeden Tag anders dar und wie Kinder das nun mal am liebsten haben: unplanbar und von der Tagesform abhängig. Caroline, Hannah und Frau Gössl berichten von Partnern, die die Entscheidung mittragen, jedoch geht die Akzeptanz und Durchführbarkeit über die Beziehung hinaus. Unterstützung über das weitere Umfeld zu erfahren und ein positiver Austausch mit Studierenden und Kolleg:innen trägt zum Erfolg in Studium und Lehre bei.

Caroline berichtet: „Als Schwangere am Juridicum unterwegs zu sein, ist schon außergewöhnlich. Hier sieht man nie einen dicken Bauch. Ich kenne nur Leute, die sagen, dass sie es bewundernswert finden, dass ich das Studium zu Ende bringe. Auch Lehrpersonen ziehen mal die Augenbrauen hoch, aber die meisten, die selbst Eltern sind, sind wohlwollend und lassen auch zu, dass man online teilnimmt.“

Und wie sehen das Studierende und Kolleg:innen, wenn eine Professorin mit Kleinkind unterrichtet und arbeitet? „Es kamen schon Studentinnen auf mich zu, um mir zu sagen, dass es inspirierend ist, zu sehen, dass man als Frau Professorin sein und Kinder haben kann. Ich habe das Gefühl, dass gerade die jüngeren Leute oder auch ältere mit schon großen Kindern entspannt, entgegenkommend und unterstützend sind“, erzählt Frau Gössl. „Die Kolleginnen und Kollegen sind ebenfalls sehr entgegenkommend, denn ich nehme Melissa auch zu Sitzungen mit. Grundsätzlich sagen mir alle, dass es gut ist, dass ich sie mitnehme.“

 

Studienort Juridicum

 

Um mit Kind am Juridicum unterwegs zu sein, hilft es, die Infrastruktur zu kennen. Neben dem Wickelraum in der Toilette neben dem Dekanat, gibt es auch den Diversitätsraum, nicht weit vom Juri§hop entfernt. Dort findet man nicht nur einen Sessel zum Stillen und eine Ruheliege, auch ein voll eingerichteter Arbeitsplatz mit höhenverstellbarem Tisch, Wickeltisch, Gitterbett und Spielzeug sind vorhanden.

Caroline hat ihn schon benutzt: „Dass es den Diversitätsraum gibt, ist toll. Man hat hier einen Ort, an den man sich zurückziehen kann.“ Sie beobachtet Emil beim Spielen mit dem Playmobil, das er im Schrank entdeckt hat. „Wahrscheinlich komme ich bald mal wieder her, ihm scheint es hier zu gefallen.“

Hannah würde gerne mehr Zeit am Juridicum verbringen: „Der worst case ist, wenn um 9:00 Uhr der Anruf aus der Kita kommt: Das Kind hustet, hat verklebte Augen. Wenn zwei Kinder zuhause sind, kann man nichts wegarbeiten. Ich habe im letzten Semester dreimal die Vorlesung versäumt und konnte Schuldrecht nicht mehr besuchen, weil ich es nicht nacharbeiten kann. Manche Profs sind so nett und streamen die Vorlesung, dann kann ich mir den Laptop hinstellen und zumindest zuhören.“

Das bestätigt auch Caroline: „Das Kind kommt immer an erster Stelle, zum Beispiel wenn es krank ist. Dann ist man nicht so leistungsfähig und man kann nicht zu den Vorlesungen. Was mich immer erleichtert hat, ist wenn etwas online angeboten wird. Die hybride Lehre weiter auszubauen, würde Eltern unglaublich helfen.“

 

Ausbaufähig

 

Das Juridicum wurde in den 1960er Jahren gebaut und ist mittlerweile in die Jahre gekommen. Sanierungsarbeiten sind in Vorbereitung. „Es ist möglich, mit Kinderwagen am Juridicum unterwegs zu sein, aber es ist nicht offensichtlich,“ sagt Caroline. „Allein die Haltestelle ist nicht barrierefrei.“
Was die Infrastruktur angeht, merkt Frau Gössl an: „Ich finde es toll, dass es den Wickelraum gibt. Mit Rollstuhl oder Kinderwagen ist es zwar möglich, aber sehr umständlich, die Wege sind sehr lang und ich hätte Probleme, in einige Hörsäle reinzukommen.“ Auch von Hannah wird angemerkt: „Das Juridicum besteht förmlich nur aus Treppen.“

Und nicht nur das Gebäude könnte barrierefreier sein. „Ich verstehe auch, dass Präsenz schöner ist, aber für nicht-typische Studierende wäre ein Ausbau der hybriden Lehre gut,“ meint Caroline. „Mündliche Prüfungen oder Hausarbeiten wären eine gute Alternative zur schriftlichen Prüfung. Eine direkte Kinderbetreuung direkt vor Ort wäre gut, immer zu Vorlesungszeiten zwischen acht und acht. Eine so flexible und bezahlbare Betreuung gibt es nicht.“

 

„Zeit ist ein wertvolles Gut“

 

Als Erfolgsfaktor nennen alle drei Frauen ein gutes Zeitmanagement. „Aber auch der richtige Fokus in der Zeit, die zur Verfügung steht,“ sagt Caroline. „Dinge, vor denen viele im Studium Angst haben, da war ich abgebrüht. Als Mutter ist man fokussiert. Wahrscheinlich wären meine Noten besser gewesen, wenn ich kein Kind bekommen hätte, andererseits bin ich wahrscheinlich zufriedener mit meiner Leistung, als ich es sonst gewesen wäre. Wahnsinn, was ich geschafft habe, denn man sieht auch viele, die durchfallen.“

Hannah kann da nur zustimmen: „Ich wage zu behaupten, dass ich mindestens doppelt so effizient bin wie meine Kommiliton:innen. Fokus und Konzentration in einem begrenzen Zeitraum, das sind Ressourcen und Kompetenzen, die man aufbaut.“

Auch die Perspektive ändere sich, zusammen mit den Prioritäten. „Die mündliche Prüfung kann nicht so schlimm sein wie die Geburt,“ lacht Caroline. „Außerdem hat man das Selbstverständnis, das Studium abzuschließen und selber für sich sorgen zu können.“

 

Ein gutes Team

 

Auf die Frage, ob sie sich bei der ursprünglichen Planung den Alltag so vorgestellt hat, antwortet Frau Gössl: „Ich bin überrascht, wie gut es klappt, dass Melissa in den Vorlesungen nicht pausenlos stört und wie nett die Studierenden sind. Was ich unterschätzt habe, ist die Kombination aus unterbrochenen Nächten und vier Stunden mit Kind auf dem Arm im Hörsaal stehen, wie das physisch fertig macht. Deswegen bin ich froh, dass ich derzeit zweistündige Vorlesungen habe und danach eine Pause.“

Während wir im Gespräch sind, kommt Frau Gössls Mann mit Tochter Olivia (3) nach der Kita vorbei. Wir bewundern die Schnecke, die Olivia gefunden hat und auf die Frage, was den Erfolg des Alltags ausmacht, antwortet er: „Wir sind ein gutes Team. Nicht nur wir beide, sondern alle vier.“ Die Familie arrangiert sich, so gut es geht. Flexibilität ist hier der ausschlaggebende Faktor.

 

„Informiert euch, ihr seid nicht alleine“

 

Wenn man im Studium feststellt, dass man schwanger ist oder sogar plant, vor oder während des Studiums ein Kind zu bekommen, ergeben sich oft ähnliche Fragestellungen. Im Austausch mit anderen kann man sich viel Recherche und viele Sorgen sparen. Caroline rät: „Ihr seid nicht alleine, es gibt andere, die sind nur nicht so sichtbar. Informiert euch so viel wie möglich über das Familienbüro. Und dann: Tief durchatmen, gelassen bleiben, irgendwie klappt das, ich habe es ja auch geschafft. Mit ganz viel Durchhaltevermögen und Mut. Man darf sich nicht in den Jurastrudel ziehen lassen.“

Prof. Gössl gibt werdenden Eltern mit, sich nicht zu sehr zu stressen, sondern die Sachen auf sich zukommen zu lassen. „Vor allem aber sollte man die Familienplanung nicht von der Karriere abhängig machen, sondern von der Beziehung. Wenn man eine Beziehung hat, in der partnerschaftlich gearbeitet wird, dann kann das hinhauen. Kinder haben ist niemals leicht, aber wenn man sich selber nicht stresst, kann das klappen. Egal ob im Studium, während des Examens oder als Lehrperson: es gibt immer die schlaflosen Nächte, die einen zurückwerfen und die wunderschönen Momente, die einem Kraft geben.“

Hannah überzeugt mit ihrer positiven Einstellung zu Familie und Studium: „Das schönste an meinem Leben ist meine Familie und ich habe dazu das Glück, ein Fach zu studieren, das ich sehr gerne mag und das mir leichtfällt.“ Ihr Tipp ist, sich gut zu informieren, wie man sich finanziell aufstellen kann, z.B. beim Studierendenwerk, dem Familienbüro oder dem AStA.

Hannah plant, Richterin zu werden, denn: „Als rechtssprechende Instanz kann ich im Familienrecht etwas erreichen“. Sie weiß jedoch flexibel zu planen und fügt hinzu: „Wenn das zeitlich mit dem Studienverlauf doch nicht klappen sollte, werde ich Verfahrensbeiständin, somit bleibe ich auch im Thema.“ Auch so sieht Hannah ihren Alltag mit Kind und Studium sehr realistisch: „Man darf nicht erwarten, dass man sich ein Haus ansparen kann oder dreimal im Jahr in Urlaub fährt. Dafür gewinnt man anderes.“

Caroline bringt ihr Erfolgsgeheimnis gut auf den Punkt: „Man muss ein bisschen mutig sein und seinen eigenen Weg gehen.“

„Es gibt noch etwas, das ich meinen Studierenden immer ans Herz lege“, fügt Prof. Gössl hinzu. „Frühes Netzwerken ist das A und O.“ Und so kommt Töchterchen Melissa auch mit auf die nächste Konferenz.

 

 

Kontakt zur Familienbeauftragten am Juridicum, Tanja Posch, kann man hier aufnehmen: https://www.jura.uni-bonn.de/familienbeauftragte

Den süßen Babybody für Nachwuchsjurist:innen kann man bei der PR des Fachbereichsmanagements erwerben: https://www.jura.uni-bonn.de/juridicum/fachbereichslogo/merchandising

In Zusammenarbeit mit dem Familienbüro und Studierenden des Studiengangs Medienwissenschaft ist ein Film entstanden, der allen Studierenden mit Kind Mut macht und Einblick gibt in die verschiedenen Möglichkeiten: https://www.youtube.com/watch?v=6eV7rm7XVgQ&t=4s&ab_channel=Universit%C3%A4tBonn

 

 

Text: Sabine Albert-Brady Fotos: Yvonne Mester

Danke an alle beteiligten Familien und vor allem an die kleinen Fotomodelle: Ihr habt das super gemacht!