„Das Juridicum gehört zu den vorbildlichsten Bauten der Universität.”
Zitat aus den Architekturführer "Bauen im Bonner Raum" aus dem Jahre 1969.
Das Juridicum - ein Steckbrief
Nur wenig außerhalb des historischen Zentrums der Stadt Bonn, jenseits des Hofgartens, befindet sich auf einem Grundstück, das Lennéstraße und Adenauerallee verbindet, das Gebäude der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, das Juridicum; es wird von beiden Straßen aus erschlossen. Das Ensemble besteht aus einem parallel zur Adenauerallee ausgeführten zweigeschossigen langgestreckten Flachbau, einem fünfgeschossigen Turm an der Ostseite und einem siebengeschossigen Turm an der Westseite. Die Verbindung zwischen dem Haupttrakt und den beiden Türmen erfolgt durch schmale, verglaste Gänge. Die Haupteingangsseite liegt zur Adenauerallee, von der das Gebäude etwas zurückversetzt ist, so dass sich ein Vorplatz bildet. Diese Seite ist außerdem durch eine Wandgestaltung von Victor Vasarely hervorgehoben: in Feuer-Emaille-Technik ausgeführte Platten schmücken den aus dem Baukörper hervortretenden Hörsaal E.
Die zweischaligen Außenwände des Juridicums bestehen aus hochwertigem gestockten Beton. Während die Hauptfront und die Rückseite des zweigeschossigen Baus über eine offene Fensterfront verfügen, sind die beiden im Grundriss quadratischen Turmbauten durch umlaufende Fensterbänder gegliedert. Im Inneren ist die große helle Eingangshalle hervorzuheben, die auf zwei Geschosse verteilt ist. Im Erdgeschoss des zweigeschossigen Haupttraktes befindet sich der große Hörsaal D, der durch spitzgiebelige Sheddächer belichtet wird. Die großteils hölzernen Türen und Wandverkleidungen in diesem Raum sind aus der Erbauungszeit bis heute erhalten. Gegenüber dem Hörsaal liegt das Haupttreppenhaus mit der elegant geführten, offenen Treppe mit Metallgeländer.
Der im Untergeschoss des Haupttraktes liegende Hörsaal C erinnert in seinem architektonischen Aufbau aus ansteigenden Reihen an ein Theater. Zwei Lichthöfe, die so genannten Atrien, belichten die Hörsäle und Bibliotheksräume. Der Zugang zu diesen gärtnerisch und mit Wasserspielen gestalteten Innenhöfen ist nur durch die kleinen Hörsäle und Bibliotheksräume möglich.
Euphorie und Aufbruch, Nutzung und Ernüchterung: eine kurzgefasste Baugeschichte
Obschon die unmittelbare Nachkriegszeit durch große materielle Not geprägt war, nahm die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät sehr schnell nach Kriegsende den Lehrbetrieb wieder auf. Bevor man 1951 wieder in das angestammte Domizil, das im Krieg teils stark beschädigte Hauptgebäude, umziehen konnte, wurde der Lehrbetrieb in der Otto-Kühne-Schule in Bad Godesberg aufrecht erhalten. Mit dem rapiden Wachstum der Studierendenzahlen ab Mitte der 1950er Jahre traten jedoch massive Platzprobleme auf, die ab 1957 zu Überlegungen führten, einen Neubau für die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät zu errichten.
Es sollten jedoch noch einige Jahre vergehen, bis der Entwurf des Staatshochbauamts unter Leitung des Regierungsbaudirektors Albert Wernicke Gestalt annahm. Nach einigen Querelen hatte man sich auf ein Grundstück geeinigt, das zur damaligen Zeit nicht prominenter hätte gewählt werden können. Die Adenauerallee, die bereits im 19. Jahrhundert als Ort gediegener Repräsentation vor allem des gehobenen Bürgertums galt, erfuhr vor dem Hintergrund der Wahl Bonns zur provisorischen Hauptstadt einen Attraktivitätsschub, der sich noch heute gut an qualitätvollen Neubauten der 1950er und 1960er Jahre nachvollziehen lässt. Das repräsentative Potential erkannte nicht nur der Bund, der zahlreiche Ministerien entlang der Zubringerstraße zum Regierungsviertel errichten ließ, sondern auch die Universität, die sich kurz vor der Errichtung des Juridicums prominent mit dem Bau der Universitäts- und Landesbibliothek in Szene setzte.
Unter diesen Vorzeichen beging man am 11. Oktober 1963 die Grundsteinlegung des Juridicums. Nach knapp vierjähriger Bauzeit konnte das Juridicum am 21. November 1967 seiner Bestimmung als Institutsgebäude für die Fachgruppen der Rechtswissenschaft und der Volkswirtschaftslehre übergeben werden. Der Aufwand, der für den ambitionierten Neubau betrieben wurde, war immens, was nicht zuletzt die Baukosten verdeutlichen, die sich schließlich fast verdreifachten.
War die Euphorie über den funktionellen Gewinn des Institutsneubaus anfangs noch groß, so zeichnete sich bereits im Bauverlauf ab, dass das Juridicum den stetig wachsenden Studierendenzahlen nicht gerecht werden würde. Zwar war schon während des Bauprozesses eine Erweiterung durch zwei Türme angedacht, diese wurden aber aus verschiedensten Gründen nicht realisiert. Die anschließenden Jahre der konstanten Überbelegung hinterließen natürlich ihre Spuren. Die charakteristische Ästhetik und der den Bau begleitende Aufbruchwille der 1960er sind jedoch auch nach fast 50jährigem Bestehen des Juridicums noch authentisch nachvollziehbar.
Tatsachen der Gegenwart
Die jüngere Baugeschichte des Juridicums und damit der Alltag seiner Nutzer waren auch von kontinuierlichen Veränderungen der Bausubstanz geprägt. Oft wurden diese durch verschärfte gesetzliche Auflagen (z. B. im Brandschutz), aber auch durch Mängel am Gebäude angestoßen.
Ein ständiger Begleiter in den frühen 1990er Jahren war dabei die Sanierung insbesondere des Seminars aufgrund von Asbest. In dessen Klimaanlage wurden bei einer Brandschutzüberprüfung Platten gefunden, die den hochgefährlichen Staub absonderten. Von einem „sicherheitstechnisch desolaten Zustand“ und einer „Hiobsbotschaft“ schrieben der „Rhein-Sieg-Anzeiger“ sowie der „General-Anzeiger“ im Dezember 1990: so sahen sich die Studenten nicht nur in ihrer Gesundheit potentiell beeinträchtigt, sondern durch die notwendigen Sanierungsarbeiten auch in ihrer Examensvorbereitung. Während der anderthalbjährigen, 4,2 Millionen Mark teuren Arbeiten mussten ab Sommer 1992 Bücher und Benutzer daher teils in andere Gebäudeteile und in die ULB ausweichen.
Nach erfolgter Asbestbeseitigung drohte weiteres Ungemach: im Zuge der Sanierung der Decken wurden zahlreiche undichte Stellen entdeckt und deren Verkleidung entfernt – „was nicht abgetragen wurde, fällt gelegentlich krachend auf den Boden“. (Rhein-Sieg-Anzeiger, 2.7.1996). „Nasse Füße“ fürchtete denn auch der Volkswirtschaftler und Nobelpreisträger Reinhard Selten – und stellte Eimer in seinem Büro auf (Rhein-Sieg-Anzeiger, 19.6.1996). Das „Feuchtbiotop Juridicum“ (General-Anzeiger, 1.7.1996) lud im Hörsaal K zu einem Fußbad ein. Dies führte im Juli 1996 zur Protestaktion „Düsseldorf streicht die Gelder – wir streichen die Uni“ – die Fachschaften VWL und Jura luden ein, zusammen mit Studenten und Professoren symbolisch eine Wand in der Cafeteria zu weißeln.
Heute werden regelmäßig Arbeiten am Gebäude ausgeführt. So wurde 2009 der Bereich des Juri§hops und 2010 die Cafeteria grundlegend neugestaltet und zuletzt der Hörsaal D einer Komplettrenovierung unterzogen sowie ein moderner, gläserner Durchgang zum Dekanat geschaffen. Das Juridicum geht also mit der Zeit – und mit seinen Studenten, Mitarbeitern und Besuchern.
Bauhaus statt Baumarkt
Das Bonner Juridicum ist ein charakteristischer Bau der 1960er Jahre. Das betrifft beispielsweise seine Komposition aus Kuben und Quadern, die Materialität (z. B. große, ungegliederte Flächen aus Glas und glattem oder rauem Putz) und geht bis zu den Details der Ausstattung (glatte Holzvertäfelungen, Metallrahmenfenster u. a.).
Damit gehört es zu einer Architekturgeneration, die es derzeit nicht leicht hat: Viele Objekte aus dieser Zeit stoßen bei den heutigen Nutzern nicht auf die Begeisterung, die in der Erbauungszeit ganz selbstverständlich war. Ein Architekturführer von 1969 zählte das Juridicum zu den „vorbildlichsten Bauten“ (U. und J. Zänker). In der Tat war es in seiner Zeit ein aufregend moderner Neubau von mustergültiger innerer Organisation und sparsamer, doch zugleich repräsentativer Außengestalt. Für die Zeitgenossen war die Einordnung anhand der genannten Merkmale ganz naheliegend: Das Juridicum stand offensichtlich in der Tradition des Neuen Bauens der 1920er Jahre, einer reformerischen Architekturrichtung, von der das Bauhaus bis heute am bekanntesten geblieben und sprichwörtlich geworden ist.
Beim Juridicum war und ist nichts von biederer Tümelei oder einschüchternden Gesten zu spüren. Klare Rechtwinkligkeit, Offenheit und wohl kalkulierte Nüchternheit prägen das Gebäude. Um die Wertschätzung, die nichts von ihrer Gültigkeit verloren hat, auch heute zu vermitteln, bedarf es der Erklärung und Information.
Erschwert wird der ästhetische Zugang beim Juridicum ‒ wie bei vielen Bauten jener Zeit ‒ durch den nicht immer optimalen Erhaltungszustand. Intensivste Nutzung und mangelnde Pflege einerseits, stilistisch unpassende Veränderungen andererseits haben dem Gebäude zugesetzt. Manches neue Teil sieht aus wie aus dem Baumarkt beschaffter Standard, ohne Rücksicht auf den Bestand. Die jüngst eingebauten Geländer im Haupttreppenhaus beispielsweise haben nicht mehr die ursprünglichen, in ihrer Formgebung auf das Gebäude gut abgestimmten Profile, sondern bringen mit Rundungen ein neues Element ein, das für das geschulte Auge aufgeregt und störend wirkt.
So muss zwischen dem ersten Eindruck, der nicht immer günstig ausfällt, und einem Einblick in die architekturgeschichtliche Bedeutung des Objekts vorsichtig eine Brücke geschlagen werden: Architekturführungen und eine Form von Architekturpädagogik können dabei helfen. Zugleich spricht nichts gegen eine behutsame Anpassung solcher Gebäude an heutige Standards des Energiehaushaltens, des Komforts und der weiteren Technik.
In Zusammenarbeit mit der
Werkstatt Baukultur Bonn
c/o Kunsthistorisches Institut Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
Autoren:
Nataliya Demir-Karbouskaya,
Martin Bredenbeck,
Constanze Moneke,
Martin Neubacher.